Quelle: ORF.at vom 29.06.2018
Option neben männlich und weiblich
Das Gericht prüfte das Personenstandsgesetz und kam zum Schluss, dass eine Aufhebung zwar nicht nötig ist. Es gab aber vor, wie das Gesetz verfassungskonform auszulegen ist. Der Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK, Achtung des Privat- und Familienlebens) gebiete auch, dass die menschliche Persönlichkeit in ihrer Identität, Individualität und Integrität zu schützen sei – und somit bestehe ein „Recht auf individuelle Geschlechtsidentität“, stellte der VfGH klar.
„Divers“, „inter“ oder „offen“
Damit müssten Menschen aber nur jene Geschlechtszuschreibung durch staatliche Regelungen akzeptieren, die ihrer Identität entspreche. Art. 8 EMRK „schützt insbesondere Menschen mit alternativer Geschlechtsidentität vor einer fremdbestimmten Geschlechtszuweisung“, steht im Erkenntnis. Der Begriff des Geschlechts im Gesetz lasse sich „ohne Schwierigkeiten dahin gehend verstehen, dass er auch alternative Geschlechtsidentitäten miteinschließt“.
Urteil: Drittes Geschlecht nun amtlich
Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) hat entschieden, dass es in Österreich ein drittes Geschlecht geben muss – das auch in offiziellen Dokumenten gewählt werden kann.
Offen blieb, wie die alternativen Geschlechtsformen in Urkunden zu bezeichnen sind. Das lasse sich den Gesetzen nicht entnehmen, konstatierten die Verfassungsrichter, wäre aber „unter Rückgriff auf den Sprachgebrauch möglich“. Es gebe mehrere Begriffe wie „divers“, „inter“ und „offen“ – der Gesetzgeber könnte auch eine bestimmte vorgeben.
„Sturm der Freude“
Anlass für die Prüfung war eine Beschwerde aus Oberösterreich. Eine Person hatte sich an das Höchstgericht gewandt, weil es ihr nicht gestattet worden war, ihren Geschlechtseintrag im ZRP auf „inter“ oder eine ähnliche Formulierung ändern zu lassen. Sowohl der zuständige Bürgermeister als auch das Landesverwaltungsgericht hatten den Antrag abgelehnt.
Nun freuen sich die NGOs, die sich lange für eine dritte Option eingesetzt hatten über das Erkenntnis. Es gebe einen „Sturm der Freude bei allen Menschen, denen mit diesem Entscheid endlich zu mehr Anerkennung, Sichtbarkeit und ihren Rechten verholfen wird“, so eine Aussendung des Vereins Intergeschlechtlicher Menschen Österreich (VIMÖ), der Plattform Intersex Österreich und der Homosexuelleninitiative (HOSI) Salzburg. „Endlich kann niemand mehr verleugnen, dass es mehr als zwei Geschlechter gibt.“ Wichtig sei nun, dass eine Option geschaffen werde, die auf Freiwilligkeit und Selbstbestimmung beruhe.
Ärger bei der FPÖ
Auch die Opposition begrüßt die Entscheidung. SPÖ-Gleichbehandlungssprecher Mario Lindner sieht darin einen Meilenstein für die Gleichstellung: „Leider war wieder einmal ein Gericht notwendig, um in einer Frage für Gerechtigkeit zu sorgen, die politisch über Jahre hinweg blockiert wurde.“
Der stellvertretende NEOS-Klubobmann Niki Scherak sagte in einer Aussendung: „Endlich sind wir auch hier im 21. Jahrhundert angekommen.” Auch Stephanie Cox, Sprecherin für Gleichbehandlung der Liste Pilz, zeigte sich erfreut: Intergeschlechtlichkeit sei ein Tabuthema in Österreich, die jetzige Entscheidung ein „wichtiger Schritt in die richtige Richtung“. Ewa Dziedzic, Sprecherin der Grünen Andersrum, forderte eine rasche Umsetzung.
Die FPÖ hingegen bewertete den VfGH-Entscheid als „völlig unverständlich“. Er bringe auch zahlreiche Probleme mit sich – “beispielsweise im Bereich der Wehrpflicht oder beim Pensionsantrittsalter“, so FPÖ-Verfassungssprecher Harald Stefan. Das Höchstgericht erweise der Republik „einen Bärendienst“.
Auch Debatte in Deutschland
Bereits im November hatte die Bioethikkommission umfangreiche Empfehlungen gegen die Diskriminierung intersexueller oder transidenter Menschen ausgearbeitet. Auch die Einführung einer dritten Option in Personenstandsregistern war darunter. Öffentliche wie private Stellen sollten zudem die Notwendigkeit einer Abfrage des Geschlechts bei alltäglichen Registrierungen überprüfen.
Auch das deutsche Personenstandsrecht kennt derzeit nur die Optionen „weiblich“ und „männlich“. Seit 2013 besteht die Möglichkeit, den Eintrag offenzulassen, wenn das Geschlecht eines Neugeborenen nicht eindeutig ist. Das deutsche Bundesverfassungsgericht hatte 2017 entschieden, dass die Regelung gegen das Persönlichkeitsrecht und das Diskriminierungsverbot verstößt. Bis zum Jahresende soll eine Neuregelung her. Seither streitet die deutsche Regierung über Möglichkeiten und Formulierungen.