Unsere politische Forderungen 2021
Gemeinsam mit dem trans*Netzwerk München fordern wir:
… mehr trans* Sichtbarkeit im Unterrichtsstoff und Sensibilisierung von Lehrer*innen zum Thema trans*
Das Thema trans* erfährt im privaten und öffentlichen Bereich immer wieder Exotisierung. Um dies zu verhindern fordern wir, trans* Lebensweisen in alltägliche Unterrichtsbeispiele und Schulbücher einzubinden. Lehrer*innen fehlt oftmals das nötige Wissen, um sensibel mit trans* Kindern und Jugendlichen umzugehen. Deshalb müssen die Ausbildung angepasst und Fortbildungen geschaffen werden, die den Lehrer*innen den Umgang mit dem Thema trans* erleichtern. So wird Kindern und Jugendlichen vermittelt, dass trans* zu sein etwas ganz Normales ist und trans* Schüler*innen werden leichter in die Schulgemeinschaft eingebunden.
… trans*inklusive Sexualaufklärung und Thematisierung geschlechtersensibler Sprache in der Schule
Wenn im Aufklärungsunterricht trans* Themen selbstverständlich mitbehandelt werden, fördert dies Akzeptanz und zeigt deutlich, dass diese an den Schulen eingefordert wird und die Schule hinter trans* Personen steht. Darüber hinaus hilft es auch den trans* Jugendlichen, zu verstehen, dass ihre Situation normal ist und sie keine “Menschen zweiter Klasse” sind; es hilft ihnen, sich mit der eigenen Geschlechtsidentität auseinanderzusetzen. Findet die Sexualaufklärung ausschließlich binär statt (cis-Mädchen und cis-Jungs) wird das Spektrum der diversen körperlichen Varianten außer Acht gelassen, sodass die Aufklärung von nicht-binären, trans* und inter* Jugendlichen nicht erfasst werden kann. Sie verpassen dadurch wichtige Informationen zu den pubertären Veränderungen und den damit verbundenen Themen (Verhütung, Safer Sex, Körpergesundheit, usw). Darüber hinaus ist die Darstellung des ganzen Spektrums eine wichtiges und notwendiges Aufklärungsthema für alle Schüler*innen.
… Schulungen für die Polizei zum sensiblen Umgang mit trans* Personen und trans*feindlicher Gewalt
Immer wieder kommt es zu trans*feindlicher Gewalt, die von Polizist*innen unsensibel gehandhabt, nicht ausreichend verfolgt oder selbst verübt wird. Schulungen erleichtern der Polizei den respektvollen Umgang mit trans* Personen und schaffen bei den trans* Personen ein größeres Vertrauen in die Polizei.
… eine trans* sensible Anlaufstelle bei der Polizei
Viele trans* Personen haben Berührungsängste und/oder schlechte Erfahrungen mit der Polizei und stellen deswegen keine Anzeige bei Diskriminierungs- oder Gewalterfahrungen gegen die eigene Person. Mit einer sensibilisierten Anlaufstelle für Gewalt gegen LGBTIAQ*-Menschen können diese Berührungsängste abgebaut werden und Diskriminierungs- und Gewalterfahrung auch als diese erkannt und erfasst werden. Auch trans* Personen haben so eine sichere Anlaufstelle und wissen, dass sie dort respektiert und ernstgenommen werden.
… Abbau von struktureller Diskriminierung gegenüber trans* Personen
Zu Formen der Diskriminierung gegenüber trans* und nicht-binäre Personen gehören nicht nur verbale und physische trans*feindliche Gewalt, sondern auch Strukturen der Gesellschaft in denen trans* Personen nicht aktiv mitgedacht werden. Diese strukturelle Diskriminierung führt zu höheren Barrieren im Alltag, welche häufig verharmlost werden. Somit ist es für Betroffene selbst schwer, dies als Diskriminierung von außen zu erkennen und sich davor zu schützen. Die Gesellschaft sollte alle Menschen von Anfang an mitdenken und in den Strukturen berücksichtigen – nicht erst auf Anfrage von Betroffenen.
… Unterstützung von Minderheiten innerhalb der LGBTIAQ*-Community
Innerhalb der Minderheit der LGBTIAQ*-Community existieren wiederum Minderheiten, wie auch die trans* Community. Minderheiten gehen in demokratischen Prozessen ohne unterstützende Strukturen unter. Um die Sichtbarkeit von allen gleichmäßig zu gewährleisten, muss die gesamte Community ihre Strukturen überarbeiten, um geschichtlich bedingte Unausgewogenheiten und die daraus resultierenden Ungerechtigkeit auszugleichen. Das Übergehen von Minderheiten wirkt sich noch heute stark durch fehlenden Strukturen aus. Auch führt der Fakt, einer Minderheit anzugehören zu weniger Ressourcen innerhalb der eigenen Community. So ist die Solidarität von Mehrheiten mit etablierteren Strukturen essentiell, so dass gleiche Sichtbarkeit erreicht werden kann, ohne Mehrarbeit leisten zu müssen. Veranstaltungen die sich an die gesamte LGBTIAQ*-Community richten, müssen Veranstaltungen für die gesamte Community sein.
… geschlechtergerechte Toiletten in öffentlichen Gebäuden
Viele Menschen erleben regelmäßig Diskriminierung und Anfeindungen auf den in “Frau” und “Mann” unterteilten Toiletten. Binäre trans* Personen werden oft zurechtgewiesen und rausgeschmissen, wenn sie die Toilette entsprechend ihrer Geschlechtsidentität besuchen. Personen, die sich nicht im binären Geschlechtersystem wiederfinden, müssen auf jeder der beiden Toiletten mit Anfeindungen rechnen. Deshalb fordern wir geschlechtergerechte Toiletten in allen öffentlichen Gebäuden.
… das Ersetzen des „Transsexuellengesetzes“ durch ein Selbstbestimmungsgesetz
Das über 40 Jahre alte “Transsexuellengesetz” benötigt eine sofortige Reform. Eine Personenstands- und Namensänderung ist für viele trans* Personen dringend notwendig, um einen diskriminierungsfreien Alltag zu ermöglichen. Allerdings sind mit dem Prozess ein langwieriges Gerichtsverfahren, hohe Kosten, sowie die Abhängigkeit von psychiatrischen Gutachten verbunden. Damit wird vielen trans* Personen der Zugang zu diesen Änderungen erschwert. Ein Selbstbestimmungsgesetz dagegen würde einen deutlich niederschwelligeren und selbstbestimmten Weg zum richtigen Personenstand und Namen schaffen. Dieser Vorgang sollte nicht mehr als ein einfacher Verwaltungsakt in Form eines Antrages beim Standesamt sein.
… Behandlungsrichtlinien für trans* Personen ohne Abhängigkeit vom therapeutischen Urteil
Um Zugang zu medizinischen und rechtlichen Schritten der Geschlechtsangleichung zu erhalten, brauchen trans* Personen eine psychotherapeutische/psychiatrische Diagnose. Laut der S3-Leitlinie zur Geschlechtsinkongruenz, Geschlechtsdysphorie und trans* Gesundheit haben Therapeut*innen hierbei eine beratende Funktion und die Entscheidung über die zu ergreifenden Maßnahmen erfolgt in einem Konsens zwischen behandelnder und behandelter Person. In der Praxis verwehren viele Behandelnde trans* und nicht-binären Personen den Zugang zu den von ihnen gewünschten Behandlungen. Viele trans* Personen haben folglich Angst, offen über ihre Sorgen und Bedenken zu sprechen, da sie befürchten müssen, dass ihnen ein solches Szenario bevorsteht. Eine Fremdbeurteilung der Geschlechtsidentität durch Außenstehende ist nicht möglich. Deswegen soll die Therapie ergebnisoffen und ohne Fremdbestimmung durchgeführt werden, wie es in den S3-Leitlinien vorgesehen wäre. Durch die neue Begutachtungsanleitung des MDK von 2020 wird jetzt zusätzlich gefordert, dass Personen für die Beantragung der Kostenübernahme zu den geschlechtsangleichenden Maßnahmen einen Leistungsnachweis der Krankenkasse über die letzten fünf Jahre vorlegen muss. Durch die darin möglicherweise aufgeführten Diagnosen wird es den Behandelnden zusätzlich erschwert ein positives Indikationsgutachten für die vorgesehenen somatischen Angleichungsmaßnahmen zu schreiben und die Kostenzusage für die geplanten geschlechtsangleichenden Maßnahmen zu bekommen.
… den Zugang zu individuellen medizinischen Transitionswegen für trans* und nicht-binäre Personen
Die eigene Transition kann für jede trans* und nicht-binäre Person anders aussehen – sei es aus medizinischen oder persönlichen Gründen. Dennoch wird von den Krankenkassen häufig nur ein vorgeschriebener Weg finanziell übernommen. Die Krankenkassen stellen für viele Verfahren Bedingungen, die nicht von allen trans* und nicht-binären Individuen gewünscht, nötig, oder gar sinnvoll sind. Durch diesen Umstand wird vielen trans* und nicht-binären Personen der Zugang zu wichtigen Behandlungen verwehrt oder sie werden zu ungewollten Behandlungen gezwungen. Obwohl der MDK (Medizinischer Dienst der Krankenkassen) seit 13.11.2020 eine neue Begutachtungsanleitung zur Kostenübernahme durch die gesetzlichen Krankenkassen erstellt hat, wurde diese wieder ohne Beratung von tatsächlich betroffenen Personen erstellt. Daraus ergibt sich, dass hier nicht-binäre Personen wieder komplett ausgeschlossen werden. Wir fordern deshalb, dass alle Krankenkassen, sowie der MDK die diesbezüglich seit 2018 bestehenden S3-Leitlinien anerkennen und jeder trans* und nicht-binären Person die Entscheidung über ihren persönlichen Transitionsweg offen lassen.
… Entschädigungen für trans* und inter* Personen, an denen fremdbestimmte normangleichende Genitaloperationen durchgeführt wurden
Bis 2011 mussten sich trans* Personen für eine Personenstandsänderung sterilisieren lassen und sich einem ihre äußeren und inneren Geschlechtsmerkmale verändernden operativen Eingriff unterziehen, wie explizit im Transsexuellengesetz vorgegeben (§8 Abs. 1 TSG). Glücklicherweise ist dies heute nicht mehr der Fall. Heute werden an inter* Kindern immer noch irreversible, medizinisch nicht notwendige, normangleichende Zwangsoperationen durchgeführt. Diese Maßnahmen stellen eine Menschenrechtsverletzung an trans* und inter* Personen dar, für die es eine entsprechende Entschädigung geben muss.
Diese Forderungen wurden in Zusammenarbeit mit dem Münchner trans*Netzwerk erarbeitet.
Beteiligte Gruppen: enBees, frienTS , Trans-Ident e.V. München, VivaTS e.V. , dgti Bayern.