Das Coming Out ist ein sehr komplexer Prozess und umfasst den Weg von:
- Der ersten Ahnung,
- über das Wissen / Verstehen was los ist,
- bis hin zur Akzeptanz der eigenen romantischen und/oder sexuellen Orientierung (z.B. pansexuell, lesbisch, schwul, aromantisch etc.) und/oder Geschlechtsidentität (z.B. trans*, inter*, nicht binär, queer etc).
Für manche ist das Coming Out leichter, für andere wiederum sehr schwer und zum Teil mit vielen Ängsten und Sorgen verbunden.
Entscheidend für eine gelingende Identitätsfindung ist die Entwicklung von Bewältigungsstrategien und eine stabile psychische Grundverfassung, welche durch ein entsprechendes Umfeld gefördert wird. Daher kann es für die sich outende Person sehr hilfreich sein, wenn sie Unterstützer*innen bei ihrer Identitätsfindung/-entwicklung findet – niemand muss diesen Weg alleine gehen. Das Alter spielt bei der Identitätsfindung bzw. beim Coming Out keine Rolle.
Oft wird das Coming Out immer im Zusammenhang mit der geschlechtlichen und/oder sexuellen Identität verbunden – doch im Grunde ist jedes Anvertrauen einer persönlichen „Angelegenheit“ gegenüber einer anderen Person, ein Coming Out. Das kann z.B. auch ein spezieller Berufswunsch etc. sein. Man spricht dann jedoch davon, dass sich jemand selbst „outet“ oder „geoutet hat”.
(Achtung: Die Person wird nicht von jemand anderem geoutet!)
Das Coming Out ist nicht nur eine einmalige Sache, sondern kann bzw. wird immer wieder in verschiedenen Situationen erforderlich sein.
Es wird also ein lebenslanger Prozess sein, in denen über das Offenlegen oder Verschweigen der eigenen Identität oder Lebensweise entschieden werden muss.
Es wurde über die Jahre festgestellt, dass es nicht nur das eine “Coming Out” gibt, sondern wie Anfangs schon erwähnt, es ein sehr komplexer und individueller Prozess ist, welcher sich in mehrere Phasen aufteilen lässt.
Wichtig ist es zu wissen, dass jedes Coming Out bei jeder Person komplett anders abläuft, daher können/müssen nicht alle Phasen durchlaufen werden und auch die Dauer der jeweiligen Phase kann sehr unterschiedlich lange sein. Es kann hier also nichts pauschalisiert/standardisiert werden.
- Die meisten berichteten uns, dass sie irgendwann das Gefühl “anders” zu sein verspürten bzw. eine intuitive Ahnung hatten, dass etwas “anders” ist.
- So manche*r verspürt dadurch auch das Gefühl “der/die Einzige auf der Welt damit zu sein bei der/dem das so ist”
- Keine*r konnte das “Anderssein” zu diesem Zeitpunkt in konkretere Vorstellungen überleiten, also sagen, wieso es so ist bzw. es begrifflich benennen
- Das Alter war total unterschiedlich. Das Coming Out kann also in jedem Alter beginnen bzw. stattfinden
- Auffällig ist, dass sich in dieser Phase kaum jemand einer anderen Person, weder Freund*in noch den Eltern/Angehörigen etc. anvertraut hat, da Ängste und Schuldgefühle auftraten, da keiner das “Anderssein” bzw. den “Grund” dafür benennen konnte
In der Phase des inneren Coming Outs findet die bewusste Wahrnehmung der eigenen Sehnsüchte, Gefühle, Identität sowie dem Unterschied gegenüber anderen statt. Man findet also einen Namen für das eigene empfundene “ich” und es werden einem die Unterschiede gegenüber Anderen bewusst. Viele berichteten, dass sie sich in dieser Phase sehr intensiv mit dem Thema Vorurteile beschäftigt haben. Das ist nicht nur bei trans*Personen so, sondern dies wurde uns auch von Personen so berichtet, die z.B. auf der Suche nach ihrer sexuellen Identität sind/waren.
Einige erzählten, dass sie das “Anderssein” anfangs erst einmal verdrängen wollten, da sie Angst vor dem Ausschluss aus ihrem sozialen Umfeld, Ablehnungen, Diskriminierungen und der fehlenden sozialen Anerkennung hatten. Durch Medienberichte, YouTube-Videos und Internet-Foren wurde/werden nach wie vor bei vielen diese Ängste verstärkt. Denn dort wird meist nur über die negativen Seiten berichtet bzw. gibt es teilweise so unterschiedliche, eher verwirrende Informationen.
Vorbilder/ positive Darstellungen bzw. klare Informationen sind nur schwer zu finden.
Nach dem Inneren Coming Out folgt bei manchen die “Stigmavermeidung”. Die negativen Bilder und Berichte über Trans*/Nicht-Binär oder Inter* die immer wieder auftreten machen es einem nicht leicht, sich selbst und seine eigene Geschlechtervariante anzuerkennen. Wenn jedoch die eigenen Sehnsüchte und Bedürfnisse nun immer deutlicher werden, versuchen viele es erst einmal zu verdrängen und versuchen ihn ihrem Geburtsgeschlecht zu leben und die von ihnen damit verbundene Geschlechterrolle zu erfüllen. Die Angst, abgelehnt zu werden ist einfach noch zu groß.
Die führt bei manchen dazu, dass sie ein erschütterndes Selbstwertgefühl bis hin zu schweren Depressionen entwickeln.
Folgen dieser Verheimlichungs- /Verdrängungsversuche können z.B. sein:
- Sozialer Rückzug
- Flucht in Phantasiewelten
- Ess-Störungen
- Selbstverletzungen
- Süchte wie z.B. Spiel- und Einkaufssucht
- Alkohol- und Drogenkonsum
- Suizidversuch
Wenn der innere Wunsch und somit auch der Leidensdruck immer mehr steigt, ist ein Umdenken erforderlich. Viele berichten, dass mit dem steigenden Bewusstsein, dass es so nicht weitergehen kann ein Hinterfragen der bisher negativen Bilder/Informationen stattgefunden hat bzw. stattfindet und der innere Prozess der Selbstannahme / Akzeptanz beginnt.
Viele beginnen zu diesem Zeitpunkt mit:
- der Beschaffung von Informationen,
- der Suche nach Gleichgesinnten im Internet und vor Ort z.B. in Regionalgruppen/Vereinen,
- dem Austausch der bis dahin erlebten Ereignissen,
- durch das Finden von positiven Ereignissen und Vorbildern, die negativen Bilder in den Hintergrund zu drängen.
Nun kommen wir zur letzten Phase des Coming Outs. Bis jetzt ging es ja immer “nur” um die “Selbstakzeptanz” und kein anderer weiß bis jetzt etwas davon. Es kann sein, das Andere aus dem eigenen Umfeld etwas ahnen, aber nun ist der Zeitpunkt gekommen, das man das Umfeld mit dem “eigenen ich/sein” konfrontiert. Das ist gar nicht so einfach – denn jetzt stellt man sich die Frage, wem kann ich was und vor allem wann und wie erzählen?
Je erfolgreicher der innere Prozess durchlaufen wurde, desto einfacher kann die Auseinandersetzung mit anderen erfolgen. Denn wenn ich von etwas zu mind. 99,9 % überzeugt bin, kann ich es anderen leichter und selbstverständlicher erklären. Ich muss kein Drama daraus machen, sondern im Grunde kann ich einfach nur ich selbst sein. Freundliche / positive Reaktionen von Anderen fördern die positive Bewältigung des Coming Outs, da es stärkend wirkt.
Wichtig!
- KEIN Mensch hat das Recht, jemanden anderen zu etwas zu drängen/zwingen, wenn diese*r es selber nicht möchte!
- NIEMAND ist gegenüber jemand anderem verpflichtet irgendetwas zu beweisen!
Dies möchte wirklich keine*r von uns erleben müssen!
Unter “Outing” versteht man im Gegensatz um Coming Out ein unfreiwilliges Offenlegen der “Lebensweise” durch andere Personen!
Geschieht dies durch Vertraute, die ihr Wissen ohne Einwilligung weitergeben ..
- führt dies zu einem enormen Vertrauensbruch,
- bringt es die geoutete Person unter Umständen in eine äußerst schwierige Situation.
Mögliche Folgen für die unfreiwillig geoutete Person:
- Rückzug aus dem sozialen Umfeld (Freundeskreis, Arbeit etc.)
- Entwicklung von Depressionen
- Selbstverletzung
- Essstörungen
- Suizidversuch
- KEINER hat das Recht, jemanden zu etwas zu drängen/zwingen, wenn man es selbst nicht möchte!
- NIEMAND ist gegenüber jemand anderem verpflichtet irgendetwas zu beweisen!
Daher – gutgemeinte “Hilfestellungen “dürfen nie ohne Einwilligung der betroffenen Person gegeben werden!
Auch hier gilt wieder!
Tipps für ein erfolgreiches Coming Out
Eine Garantie für ein erfolgreiches Coming-Out gibt es leider nicht. Jedoch möchten wir hier ein paar Tipps mit euch teilen, die hilfreich sein können.
- Finde z.B. durch gezieltes Hinterfragen heraus, was die Person über das Thema denkt
- Mach kein „Drama“ daraus, sondern versuche so natürlich und selbstbewusst wie möglich zu erklären was los ist.
- Sei du selbst! - Verstellen, verbiegen etc. hilft nicht!
- Verwende keine Fachbegriffe/Diagnosen z.B. F64.0 etc.
- Gebe der anderen Person gegenüber Zeit das erst einmal zu verarbeiten
- Verzeihe Fettnäpfchen und immer wiederkehrende Fragen
- Übe dein Coming Out-Gespräch in einer Selbsthilfegruppe oder bei deinem/deiner Psychotherapeuten/Psychotherapeutin, der/die dich auf deinem Weg begleitet.
- Wenn es dir schwer fällt mit der anderen Person zu sprechen, schreibe einen Brief, mache ein Video oder einen Song ... nutze deine Kreativität.
- Höre zu
- Hinterfrage, wenn etwas nicht verstanden wurde
- Versichere deine bestmögliche Unterstützung
- Behalte alle Informationen streng vertraulich
- Benutzte so früh wie möglich den neuen Namen sowie das gewünschte Pronomen
- Plant gemeinsame weitere Schritte und begleite dabei z.B. Coming out bei weiteren Personen/Kolleg*innen etc.